Historismus
Andreas Michel
Unter der Inventarnummer 481 zählt die Leipziger Sammlung ein außergewöhnliches Zitherinstrument. Georg Kinsky bezeichnete sie in seinem Katalog als "Harfenzither" und bemerkte dazu: "Das eigenartige Instrument, ein Mittelding zwischen Harfe und Zither, erinnert im Äußeren an die Form der alten Spitzharfen" (Kinsky 1912, S. 68). Mit dieser Beobachtung verweist er auf ein interessantes Problem. Die Beziehung Zither-Harfe ist von jeher von Bedeutung, da die Besaitung beider Instrumente prinzipiell ähnlich konzipiert ist: eine größere Anzahl von Saiten in einer Ebene. Allerdings sind die Unterschiede in bezug auf die Konstruktion und Lage des Resonators so erheblich, daß aus systematischer Sicht eine Begriffsbildung wie "Harfenzither" schwer möglich ist. Das vorliegende Instrument folgt in seiner Gestalt zweifellos einer der zahlreichen Formen des spätmittelalterlichen Psalteriums, so daß es vielleicht als griffbrettlose Psalteriumszither zu bezeichnen wäre.
Schule des Jan van Eyck (1385-1441): Der Gnadenbrunnen (Detail), Madrid, Prado Entwicklungsgeschichtlich bildet das Psalterium den Vorläufer der modernen Zither, wobei balkenförmige Psalterien als Scheitholte betrachtet werden können. Auch die ala bohemica bildet einen frühen Vorläufer. Praetorius war das Psalterium bereits unbekannt; er konnte keine eigene Beschreibung geben, sondern greift auf Virdung zurück: "dieweil ich sonsten keinen Bericht oder Nachrichtung haben können / wie und welcher gestalt dieselbe uns jetziger zeit unbekante Instrumenta gebraucht worden" (Praetorius 1619, S. 76)
Schule des Jan van Eyck (1385-1441): Der Gnadenbrunnen (Detail), Madrid, Prado
Entwicklungslogik und Geschichte divergieren jedoch erheblich: nach dem Aussterben des Psalteriums noch im 16. Jahrhundert knüpfen die neueren Instrumente nicht an das Psalterium an, sondern sind als "Erweiterungen" des Scheitholtes anzusehen. Ein gewisser Einfluß der Zistern ist denkbar. So kann man im 18. Jahrhundert die senkrechte Haltung des Instruments vor dem Körper des Spielers belegen.
Ein weiterer elementarer Unterschied zwischen Psalterium und den modernen Zithern besteht in der Haltung des Instruments zum Spieler. Während bei den mittelalterlichen Psalterien in der Regel die breitere Seite, also die mit den größeren Mensuren und tieferen Saiten, dem Spieler zugewandt liegt, befinden sich diese bei den mitteleuropäischen Zithern auf der dem Spieler abgewandten Seite.
Ebenfalls historisierende Züge trägt die von Johann Haslwanter um 1870 konstruierte Mandolinenzither (Inv.-Nr. 489). Ihre ungewöhnliche Form und Besaitung gab bereits den Zeitgenossen Haslwanters Rätsel auf. So interpretierte sie der versierte Zitherspieler und -kenner Julius Eduard Bennert als einen "Versuch, die Streichzither durch ein im Ton der Schlagzither näher liegendes Instrument zu ersetzen." (Bennert 1881) Georg Kinsky klassifizierte das Instrument folglich in die Rubrik "Streichzithern" (Kinsky 1912, S. 71). Da jedoch die waagerechte Griffbrett- und Saitenebene keine Bogenführung zuläßt, ist eher von einer stilisierten Scheitholtform auszugehen. Mit der der Mandoline entlehnten Doppelchörigkeit kann es als Versuch gelten, der Zither eine neue Klangfarbe zu erschließen. Vielleicht war das Gerät auch einfach nur als Übungsinstrument gedacht.
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© STUDIA INSTRUMENTORUM MUSICAE 1999